Dieses Mal haben wir mit Boris Voelkel und Georg Neubauer über ihre gemeinsame Session gesprochen. Die beiden luden die Teilnehmer:innen dazu ein sich mit den Potenzialen "runder Tischen" auseinander zu setzen.

Bild: Boris Voelkel erzählt von seinem Weg partnerschaftliche Beziehungen mit seinen Lieferbetrieben aufzubauen.
"Gesunde Lebensmittel aus gesunden Strukturen" – was sich vor allem am zweiten Tag als inoffizielles Motto des Biolebensmittelcamp2021 entpuppte, ist vielleicht die beste Beschreibung, die man für Bio überhaupt finden kann. Und es verwundert nicht, dass diese Formulierung von Boris Voelkel (voelkeljuice.de) kam. Quasi sein gesamtes Leben befasst er sich schon damit, wie dieses Ziel für möglichst viele Menschen erreicht werden kann. In seiner Rolle als Einkaufsverantwortlicher im Familienunternehmen pflegt er mit seinen Lieferanten Beziehungen auf Augenhöhe, die geprägt sind von einem tiefen Verständnis für die Herausforderungen und Bedürfnisse der Landwirt:innen. Für Boris steht die Wertschätzung im Zentrum all seiner Entscheidungen. Dabei ist, wie wäre es anders zu erwarten, Wert für ihn nichts, was sich in reinen Zahlen ausdrücken ließe. Ein Preis ist ein Kompromiss in Form einer Zahl. Den Wert, von dem Boris spricht, findet man aber nicht in Exceltabellen, sondern im zwischenmenschlichen Miteinander. Das Camp empfand Boris nach Monaten der Pandemie als willkommene Möglichkeit, um wieder einen persönlichen Austausch mit Mitgliedern der Branche zu erleben. Besonders begeisterte ihn, dass sich während des Camps ähnlich wie in einem Labor Konzepte und Ideen in der Gemeinschaft überprüfen und weiterentwickeln lassen. In seinem Empfinden bilden der Ort und die Teilnehmenden zusammen einen „Vertrauensraum“, in dem es kein richtig oder falsch gibt und jede Meinung Gehör findet. Es ist der ideale Platz für erfahrene und weniger erfahrene Branchenmitglieder, um sich in zwei intensiven Tagen mit den drängenden Themen der Branche zu beschäftigen und die breite Kompetenz des Teilnehmerfelds für die Weiterentwicklung eigener Themen und Projekte zu nutzen.
Auch Georg Neubauer (blattfrisch.de) weiß um diese besondere Möglichkeit eines offenen Austauschs auf dem BLC. Was 2019 mit seiner Session auf dem Camp in Fulda begann, hat sich für ihn in der Zwischenzeit zu einem immer konkreteren Nebenprojekt entwickelt: runde Tische für die Bio-Branche. Möchte man es besonders wissenschaftlich auszudrücken, würde man sagen, er arbeitet gemeinsam mit anderen an einem Steuerungswerkzeug zur Planung, Umsetzung, Organisation und Weiterentwicklung partnerschaftlicher Bio-Wertschöpfungsketten.

Bild: Georg und im Hintergrund die "Wertschöpfungsschnecke".
Und spätestens jetzt weiß man, warum Boris und Georg so einen guten Draht zueinander haben. Ihre ursprünglich getrennten Themeneinreichungen wurden von Magnus kurzer Hand zu einer gemeinsamen Session verbunden. Eingebettet in den Tag02 nutzten sie die beiden ihre 60 Minuten, um zunächst aus der Perspektive von Boris zu erklären, warum langfristige und wertschätzende Beziehungen zwischen allen Beteiligten der Lieferkette der wichtigste Aspekt einer resilienten und möglichst krisensicheren Unternehmens- und Einkaufspolitik sind. Georg zeigte anschließend mit einer plakativen Visualisierung, auf die ich als Designer fast ein wenig mit Neid blicke, dass die Akteure in den bestehenden Strukturen den Blick meist nur auf den direkten Handelspartner vor bzw. hinter sich richten.
In seinem Bild fädeln sie sich wie Perlen entlang einer Linie konzentrisch zulaufenden Linie auf, die Georg die "Wertschätzungsschnecke“ nennt. An deren Ende klafft eine große Lücke zwischen den Verbraucher:innen und den Erzeuger:innen. Im übertragenen Sinne beschreibt das den Zustand der Anonymität in dem die Rohstoffproduzenten ohne echten Einblick in die Strukturen und Mechaniken des Lebensmittelhandels ihre Erzeugnisse an den jeweils nächsten in der Kette abgeben.
Bei jeder weiteren Übergabe wird die Verbindung zum eigentlichen Ursprung des Lebensmittels schwächer. Am Ende der Schnecke stehen die Verbraucher:innen, denen die Verbindung zum Beginn der Kette komplett abhandengekommen ist. Georg erklärt das so: „Gibt es keinen Austausch miteinander fehlt das Wissen über die Bedürfnisse der anderen Teilnehmer:innen und damit ein gegenseitiges Verständnis für die ökonomischen Bedürfnisse innerhalb des Systems. Jeder für sich kennt dann nur einen Maßstab: die eigene Marge. Aus der Wertschätzungschnecke wird dann schnell eine alles bestimmende Preisspirale“.
Wie aber lassen sich Wertschöpfung und Verantwortung gerechter auf alle verteilen? Und was können runde Tische dazu beitragen? Georg ist der Antwort schon auf der Spur. Mit weiteren Beteiligten initiierte er mittlerweile erste runde Tische. Einer in Norddeutschland und einer in der Raum Bodensee.
Während der gemeinsamen Session von Georg und Boris begaben sich die Teilnehmer:innen in die Köpfe der wertschöpfenden Akteure. Aus den Perspektiven der Saatgutzüchter:innen, der Landwirt:innen, des Handels und der Verbraucher:innen formulierten sie die Wünsche und Bedürfnisse welche diese an ein einen runden Tisch haben könnten. Welchen Nutzen hat jeder einzelne von ihnen von der Teilnahme an einem runden Tisch?

Bild: Claas Homeyer (Mitte) von Naturkost Erfurt war Teil der Gruppe, die sich mit den Bedürfnissen des "Handels" befasste.
Was auf dem BLC noch theoretisch besprochen wurde, hat Georg mit den zwei erwähnten runden Tischen bereits teilweise in die Tat umgesetzt. Die beiden Gesprächsrunden sind die Piloten für ein Format, das Georg bald allen Interessierten als Werkzeug zugänglich machen möchte. Wer mehr darüber erfahren oder ihn dabei unterstützen möchte darf ihn gerne kontaktieren! Vor Kurzem hielten Boris und er zudem einen Workshop beim demeter Grundlagen Forum. Auch hierzu gibt der Gründer von blattfrisch gerne Auskunft. Und wer weiß, vielleicht berichten er und Boris beim Camp im Oktober in einer Anschluss-Session davon, wie ihre Wertschöpfungsschnecken so gedeihen.
Wir würden uns jedenfalls sehr darüber freuen und möchten uns an dieser Stelle noch einmal herzlich bei den beiden für ihre Session bedanken!
Die Stellwände zeigen Bedürfnisse und Mehrwert runder Tische für die einzelnen Akteure der Wertschöpfungskette.
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